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Hochsensibilität - ein Wesensmerkmal, keine Krankheit

Der Begriff Hochsensibilität versucht, bestimmte Wesensmerkmale zusammen zu fassen. Auch wenn dieser Begriff nicht besonders glücklich gewählt sein mag so beschreibt er doch den Kern: ca. 15-20 % der Bevölkerung gelten als hochsensibel, sie reagieren schlichtweg anders, empfindsamer auf innere wie äußere Reize. Dies ist physiologisch verankert: ihr Nervensystem reagiert stärker und schneller durch das Vorhandensein von deutlich mehr relevanten Neurotransmittern (Botenstoffen).

 

Hochsensible Personen (HSPs) nehmen Reize stärker auf und verarbeiten diese intensiver. Dies ist weder eine Krankheit noch ein Gendefekt, noch sind Hochsensible einfach "nur" empfindlich. Aber sie sind anders als ca. 80 % ihrer Mitmenschen!

Weshalb das so ist, weiss man noch nicht. Diskutiert werden genetische Veranlagung oder auch ein früh erlebtes Traumata.

 

Um sich wohl fühlen zu können brauchen wir Menschen eine bestimmte Bandbreite von Anregungen und Reizen: nicht genügend Stimulation führt auf die Dauer zu Langeweile und Unwohlsein; zu viele Anreize hingegen führen zu Überforderung und Stress.

Bei zu viel Anreizen/Stimulationen fühlen sich Menschen hilflos oder bedroht und reagieren entsprechend mit Rückzug oder Aggression. So reagieren alle Menschen - nur dass bei Hochsensiblen diese Bandbreite von angenehmer Anregung deutlicher kleiner ausfällt,

d.h. sie fühlen sich nicht nur schneller überfordert, sie sind es tatsächlich:

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem gut  besuchten Lokal. Der Raum ist voll, die Menschen lachen, reden, essen - sie genießen den Abend. Sie fühlen sich angenehm stimuliert.

Und nun stellen Sie sich vor, wie eine hochsensible Person diesen Abend erlebt: der Geräuschpegel ist für sie kaum zu ertragen, ja er kann sogar als körperlicher Schmerz wahrgenommen werden. Das starke Parfume der Dame an der Bar überfordert den sehr fein ausgeprägten Geruchssinn total. Das Pärchen am Nachbartisch wirkt oberflächlich betrachtet glücklich aber eine HSP nimmt sofort wahr, dass die Frau unglücklich, traurig ist. Der Kellner macht seinen Job gut aber eine HSP erkennt sofort, dass der Kellner große Sorgen hat - und fühlt mit! Das bestellte Essen sieht wirklich lecker aus aber die aggressive Stimmung des Kochs fühlt die HSP beim Essen und ihr Körper reagiert darauf mit Bauchschmerzen. All die vorhandenen Reize in diesem Lokal, ja die feinen emotionalen Schwingungen der Menschen im Raum sind für eine HSP um ein vielfaches stärker wahrzunehmen als für eine durchschnittlich sensible Person!

All dies bedeutet, dass die hochsensible Person diesen Abend nicht genießen kann - auch wenn sie es noch so sehr möchte. Hat sie einen guten Tag, kann sie evtl. die vielen wahrnehmbaren Reize unterdrücken - aber das strengt sehr an. Hat sie einen weniger guten Tag, kann sie den Aufenthalt nicht lange ertragen. Sie wird vermutlich nach Hause wollen; zumindest zieht sie sich innerlich zurück oder kommt in aggressive Stimmung. Der Abend ist gelaufen - so oder so.

 

Zu akzeptieren dass man anders ist als die Anderen - anders aber nicht falsch - ist oftmals ein langer, manchmal auch ein leidvoller Weg.

Die eigenen Schwächen zu akzeptieren und die eigenen Stärken zu erkennen und zu fördern ist für alle Menschen unglaublich hilfreich.

Für Hochsensible aber ist es - drastisch ausgedrückt - eine beinahe lebensnotwendige Maßnahme!

Dies gilt ganz besonders auch für unsere scheinbar immer mehr werdenden hochsensiblen Kinder.

 

Die amerikanische Psychologin Dr. Elain Aron hat den Begriff HSP (High sesitiv person) geprägt und dieser ist im deutschen Sprachgebrauch als Hochsensibilität übersetzt/übernommen worden. Hochsensibilität ist ein grundlegendes Wesensmerkmal.

Aber eben nur eine von vielen Charaktereigenschaften einer Persönlichkeit! Eine HSP (high sensitiv person) erlebt innere und äußere Reize stärker als der Durchschnitt der Bevölkerung.  Man unterscheidet drei Hauptgruppen von HS:

Sensorischer HS: Geräusche, Gerüche, visuelle Eindrücke wie Licht oder Farben, über den Tastsinn wahrgenommene Reize, Geschmacksreize werden deutlicher stärker wahrgenommen

emotionale HS: Feinheiten in zwischenmenschlichen Bereichen werden sofort wahrgenommen, ausgeprägte Intuition, starke Empathie, Fähigkeit besonders gut zuhören zu können, ...

kognitive HS: ausgeprägte Logik, komplexe Zusammenhänge fallen leicht ebenso die Unterscheidung von Wahr/Falsch, auch multiperspektivisches Denken sind hier besonders ausgeprägt

 

Und natürlich gibt es auch HSPs, die in verschiedenen Bereichen hochsensibel sind.

Es gibt eher introvertierte HSPs (ca. 70%), aber es gibt durchaus auch extrovertiere HSPs (ca. 30%)!

 

 

Solltest Du (und ich wähle jetzt bewusst das Du) bis hier hin gelesen haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass Du hochsensibel bist. Vielleicht mehr, vielleicht weniger. Es spielt auch keine Rolle, ob dies wissenschaftlich überprüfbar ist oder nicht.

Wichtig ist, dass Du weißt: Du bist in Ordnung! Du bist richtig, genau so wie Du bist!

Wichtig ist, dass Du lernst, damit umzugehen und gut für Dich zu sorgen. Ja, es macht das Leben manchmal ganz schön schwer - ich weiss. Aber es bringt auch viele Stärken und Geschenke mit sich, hochsensibel zu sein. Vielleicht passen diese Stärken vordergründig betrachtet nicht in unsere leistungsorientierte Welt... aber Deine Fähigkeiten werden dringend gebraucht. Vergiss das nicht!